
Fahrradklimatest: Zeugnisse verteilt – und jetzt?
Der ADFC-Fahrradklimatest 2024 ist durch. Die Kommunen haben ihr Zeugnis bekommen: mal Lob, oft aber auch schlechte Noten und mahnende Hinweise. Es ist ein wenig wie früher in der Schule – die einen strahlen, weil sie Fortschritte gemacht haben, die anderen zucken mit den Schultern und sagen „war ja klar“.
Doch die eigentliche Frage beginnt jetzt: Was machen die Kommunen mit diesen Ergebnissen?
Die Menschen vor Ort – also wir als Radfahrer und ganz besonders als Aktive im ADFC – schauen genau hin. Die Zahlen und Bewertungen sind doch kein Selbstzweck, sondern ein Auftrag. Wenn Radfahrende schlechte Noten vergeben, dann heißt das: Sicherheit fehlt, Infrastruktur ist mangelhaft, die Lust aufs Radfahren bleibt auf der Strecke. Bei uns in der Grafschaft Bentheim werden wir deshalb weiter wachsam sein und Veränderungen anmahnen. Versprochen.
Urlaubserkenntnisse: ein Blick nach Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg
Manchmal merkt man erst in der Fremde, wie gut es zu Hause eigentlich läuft.
Im letzten Monat bin ich mit dem Rad in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg gefahren. Ehrlich: Ich habe oft die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Nicht, weil die Landschaft nicht wunderschön wäre – die ist traumhaft. Sondern weil die Fahrradinfrastruktur grottenschlecht ist. Mich erinnerten manche Wege an meine Radtour mit dem Liegerad durch Polen und Weißrussland. (siehe mein Buch: „Die außergewöhnlichen Radtouren eines Bürokraten“
Ich hatte das Gefühl, die Orte dort hätten vom ADFC- Fahrradklimatest noch nie gehört, geschweige denn sich Gedanken gemacht. Ich übertreibe nicht:
Manche Radwege wirken, als stammen sie noch aus Vorkriegszeiten. Der bröckelige Teer könnte genauso gut ein historisches Denkmal sein.
Teilweise fährt man über Platten, die aussehen wie Panzerspuren.
Radwege hören plötzlich auf – mitten im Nirgendwo, manchmal direkt vor einem Bordstein.
Eine durchgängige Verbindung von A nach B? Fehlanzeige. Stückwerk, Bruchstücke, lose Enden.
Das ist nicht nur nervig, sondern auch gefährlich!
Vom Radweg direkt auf die Straße
Besonders bitter ist der Kontrast:
Zwischen zwei Ortschaften findet man manchmal richtig gute Strecken, die sogar in Fernradwege eingebunden sind. Alles top. Und dann – zack – im Ort: Ende Gelände. Keine Schilder, kein Anschluss, einfach nichts. Als Radfahrer ist man plötzlich unsichtbar.
Das führt zu skurrilen Situationen: Fußgänger machen mir freiwillig Platz, weichen vom Fußweg aus auf den kaputten Mini-Radweg, weil sie denken, Radfahrer müssen doch mehr Platz haben. Dabei will ich das gar nicht. Ich will nur sicher durch den Ort.
Die Realität: Ich fahre oft auf der Bundesstraße, Herzschlag im Nacken. Denn jedes Mal, wenn ein Auto mit hohem Tempo von hinten anrauscht, schaue ich ängstlich in den Rückspiegel. Diese ständige Unsicherheit frisst Energie.
Verkehrswende? Eher Verkehrsstau von gestern.
Und jetzt mal ehrlich: Nennt man das Verkehrswende?
Ich spüre dort keine Lust, das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel zu nutzen. Null. Im Gegenteil – es ist eher Trotz, dass ich nicht aufgebe. Ich fahre weiter Rad, weil es meine Gewohnheit ist, weil es zu meinem Leben gehört. Aber Freude? Fehlanzeige.
Das ist tragisch, denn genau diese Regionen benötigen Alternativen zum Auto. Viele Menschen wohnen verstreut, die nächste Bahn ist nicht immer erreichbar – da wäre das Fahrrad ein idealer Baustein für die Mobilität. Aber wenn die Wege so aussehen, wie ich sie erlebt habe, ist es kein Wunder, dass fast jeder auch für den kleinsten Weg ins Auto steigt.
Wo sind die Fördergelder geblieben?
Wir hatten in Deutschland über Jahre hinweg bundesweite Förderprogramme für den Radwegebau. Milliarden sind geflossen. Also frage ich mich: Was ist in diesen Regionen passiert?
Hat man das Geld einfach nicht abgerufen? Oder steckt es in Projekten, die nichts mit der Alltagsmobilität zu tun haben?

Es fühlt sich an, als hätte man die Zeichen der Zeit schlicht ignoriert. Als ob Verkehrspolitik dort nur heißt: Straßen für Autos, Parkplätze für Autos, immer mehr Autos. Punkt.
Verantwortung: Wer trägt sie?
Politiker reden gerne von Lebensqualität. Aber wer entscheidet eigentlich, dass Menschen gezwungen sind, für jeden Weg das Auto zu nehmen? Wer trägt die Verantwortung, wenn Radfahrer*innen auf gefährlichen Straßen verunglücken, weil es keine sichere Alternative gibt?
Diese Fragen sind unbequem, aber sie müssen gestellt werden.
Verkehrspolitik ist nicht neutral. Jede Entscheidung, die ich treffe – ob ich Radwege baue, ob ich Platz fürs Auto freigebe, ob ich das Geld in Schiene oder Asphalt stecke – wirkt sich direkt auf die Sicherheit und Lebensqualität der Menschen aus.
Und dann kommen die Autofans …
Und als wäre all das nicht schon absurd genug, gibt es Politiker (allen voran aus den Reihen der FDP), die ernsthaft fordern: „Mehr Autos in die Innenstädte!“
Ich frage mich: Haben die eigentlich verstanden, was auf dem Spiel steht? Unsere Städte sind voll, die Klimaziele rücken in die Ferne, die Menschen wünschen sich mehr Platz zum Leben – und die Antwort lautet: noch mehr Autos?
Das ist, als würde man bei einem brennenden Haus noch ein paar Kanister Benzin nachkippen.
Wie weiter?
Der Fahrradklimatest ist ein Spiegel. Er zeigt, wo es hakt und wo es läuft. Aber er allein verändert nichts. Die Kommunen müssen jetzt liefern. Und wir als Radfahrende, als Bürgerinnen und Bürger, dürfen nicht locker lassen.
Aber bei genauer Betrachtung der interaktiven Karte auf der ADFC Homepage stelle ich auch fest, dass sich die Bürger in diesen beiden östlichen Bundesländern so gut wie gar nicht an der bundesweiten Klimabefragung beteiligt haben. Mir schwant fürchterliches: Nimmt man in diesen Regionen gar nicht teil, weil man sich schon sicher ist, schlecht abzuschneiden? Ich bin entsetzt!

In der Grafschaft Bentheim heißt das: Wir bleiben dran. Wir vom ADFC in der Grafschaft Bentheim schauen genau hin, ob die Ergebnisse ernst genommen werden. Wir fragen nach, wenn es keine Fortschritte gibt. Und wir machen sichtbar, wenn Verbesserungen passieren. Denn Verkehrswende braucht nicht nur Konzepte auf Papier, sondern echten Wandel auf der Straße.
Meine Hoffnung: Dass die Fehler, die ich im Urlaub erlebt habe, nicht bei uns wiederholt werden. Und dass auch in den Regionen, die bislang geschlafen haben, eines Tages ein Umdenken einsetzt.
Bis dahin gilt: Augen auf, Stimme erheben, unbequem bleiben.
Denn Radfahren ist nicht nur Freizeitspaß, sondern ein Stück Lebensqualität, Gesundheit, Klimaschutz – kurz: Zukunft.
„Die größte Gefahr im Verkehr sind Autos, die schneller fahren, als ihr Fahrer denken kann.“
Robert Lembke